Ziegel in Massen: Mundstück einer Ziegelstrangpresse aus Lieth
In fein geschwungener Handschrift vermerken die Auftragsbücher der Ziegelei auf dem Roten Lehm die Bauvorhaben in Elmshorn, die um 1900 mit Ziegelsteinen aus Lieth realisiert wurden. Stein um Stein entstanden in diesen Jahrzehnten zahlreiche markante Gebäude in der Stadt: die Bismarckschule, die Reit- und Fahrschule, der Turm der Nikolaikirche, der Wasserturm, die Malzfabrik Asmussen und viele weitere öffentliche und Fabrikbauten. Auch Straßen in der Region – so genannte Klinker-Chausseen – wurden mit Backsteinen gepflastert. Die Liether Ziegelsteine aus rotem Ton prägten in dieser Hochphase der Industrialisierung und regen Bautätigkeit das Elmshorner Stadtbild.
Schwere Handarbeit
1843/44 hatten Bauarbeiter beim Bau der ersten Eisenbahnlinie durch Schleswig-Holstein von Altona nach Kiel die roten Tonvorkommen im Liether Moor entdeckt. Nachdem Untersuchungen ergeben hatten, dass sich dieser rote Lehm für die Ziegelherstellung eignete, nahm bereits 1847 die Ziegelei in Lieth den Betrieb auf.
Die Arbeit dort war hart: Rein saisonal betrieben, bestimmten überlange Arbeitszeiten bis zu 15 Stunden täglich während der Produktion im Sommer und monatelange Arbeitslosigkeit ohne Einkommen im Winter das Leben der Ziegler. In schwerer und schmutziger Handarbeit unter freiem Himmel bauten sie den Ton in der Grube mit Spaten ab und stellten Ziegelrohlinge mit Hilfe von Holzformen im Handstrichverfahren her. Bis zu 300 Rohlinge konnte ein Ziegelstreicher mit zwei Hilfskräften pro Stunde herstellen.
Wie fast überall in Norddeutschland kamen auch in Lieth zunächst vor allem Wanderarbeiter aus dem westfälischen Lippe zum Einsatz. Sie waren als Ziegler spezialisiert, gut organisiert und lebten während der Produktionszeit in Wohnbaracken auf dem Ziegeleigelände. Die wachsende Mechanisierung der Herstellungsverfahren ließ den großen Bedarf an Fachkräften jedoch zunehmend sinken, so dass auch immer mehr ungelernte Arbeiter aus der Region Elmshorn beschäftigt wurden.
Arbeiter an der Ziegelstrangpresse in Lieth. Fotografie von Max Stehn, um 1930.
Ziegel in Massen
Für diesen Mechanisierungsprozess nimmt das Objekt des Monats eine wesentliche Rolle ein. Es handelt sich um das Mundstück einer Ziegelstrangpresse, das die Form des Ziegelsteins vorgibt. Der Ton wird in der Strangpresse unter hohem Druck durch das Mundstück gepresst. Den dabei entstehenden endlosen Tonstrang zerteilt anschließend der Abschneideapparat mit einem gespannten Draht in einzelne Ziegelrohlinge. Pro Stunde formte diese Maschine, angetrieben durch Dampfmaschinen und später Elektromotoren, 1500 Rohlinge und ermöglichte damit eine industrielle Massenproduktion. In der Ziegelei Lieth löste die Strangpresse um 1910 die Handstrichziegelformung ab.
Diese Maschinisierung trieben die neuen Inhaber Meinert & Eilers seit 1908 konsequent voran. Unter der neuen Bezeichnung als „Dampfziegelwerke Elmshorn“ entwickelte sich die Ziegelei zum Industriebetrieb. Nach schwierigen Zeiten und Produktionseinstellungen während der Weltkriege erlebte sie ab 1946 einen erneuten Aufschwung durch den Wiederaufbau und produzierte jährlich bis zu 5 Millionen Ziegel. Eine zunehmend überholte Technik und mangelnde Wirtschaftlichkeit führten 1965 jedoch zum Aus für die Ziegelei auf dem Roten Lehm.
Weitere spannende Objekte zur Geschichte der regionalen Ziegelherstellung um 1900 können Sie in der neu gestalteten Dauerausstellung im 1. Obergeschoss des Industriemuseums entdecken.
Inventarnummer: 1996-0034
Datierung: 1. Hälfte 20. Jh.
Material: Holz, Metall, Gummi
Maße: L 45 cm, B 29 cm, H 17 cm
Verwendungsort: Ziegelei auf dem Roten Lehm in Lieth bei Elmshorn
Standort: Dauerausstellung, 1. OG, Industriemuseum Elmshorn