Kommunistischer Wandkalender
Jahreskalender sind uns ein alltäglicher Begleiter und jedes Jahr aufs Neue kaufen wir uns einen Kalender oder wir werden mit Kalendern in den unterschiedlichsten Varianten beschenkt. Auch wenn inzwischen viele Menschen ihre Termine mit Hilfe von Smartphones und PC verwalten, so hängen doch in nahezu allen Wohnungen Kalender in den unterschiedlichsten Varianten an der Wand.
Mit dem Kalender und der Uhr ordnen wir unsere Zeit. Der Wunsch, den Jahresablauf aufzuzeichnen und damit auch Ereignisse vorhersagen zu können, ist sehr alt. Schon früh berechneten die Menschen die Zeit und hielten sie auf verschiedenste Arten fest, so wurden Tage und Wochen beispielsweise mit Kerben in Holzstäbe geritzt. Nahezu alle Völker berechneten die Zeit auf ihre Weise und es entstand eine Vielzahl von Kalendersystemen. Bis heute wird in verschiedenen Kalendern gelebt. Für internationale Terminvereinbarungen gilt zwar der Gregorianische Kalender und wir schreiben das Jahr 2012, nach dem jüdischen Kalender leben aber Millionen Menschen im Jahr 5772 und zur gleichen Zeit zeigt der islamische Kalender das Jahr 1433 und der indische Kalender 1933.
Unser Wandkalender ist angesichts dieser kulturellen Vielfalt praktisch. Er trägt kein Jahresdatum und kann in jedem Jahr als aktuelles Kalendarium benutzt werden. Die einzelnen Datenblätter zum Stecken in den kleinen Metallrahmen sind komplett vorhanden. Allerdings erfordert die Handhabung Disziplin, jeden Tag muss ein neues Blatt nach vorne gesteckt werden. Und dann stellt sich Ende des Monats die Frage: Hat der Monat 30 oder 31 Tage und wie ist es mit dem Februar? Haben wir ein Schaltjahr oder nicht? Für die Handhabung unseres immerwährenden Kalenders ist die Kenntnis der Kalenderregeln wie die der Schaltregel wichtig: „Ein Schaltjahr ist ein Jahr, dessen Jahreszahl durch vier ganzzahlig teilbar ist, es sei denn, es ist ein Jahrhundert-Jahr, dann muss seine Jahreszahl durch 400 ganzzahlig teilbar sein.“ Da die Länge des gregorianischen Jahres entsprechend des Umlaufs der Erde um die Sonne nicht 365 Tage sondern exakt 365,2425 Tage beträgt entsteht jedes Jahr eine Verschiebung um einen viertel Tag. In der Zeit von 4 Jahren verschiebt sich daher unser Kalender um einen Tag. Deshalb hat der Februar alle 4 Jahre wie auch in diesem Jahr einen Tag mehr, den 29. Februar. Wir müssen also in unserem Papierkalender im nächsten Monat auch noch das Kärtchen mit der 29 einschieben.
Der Wandkalender wurde am 10. November 2011 dem Industriemuseum Elmshorn gespendet. Aber wie alt ist denn nun dieser leicht angegilbte Papierkalender? Ein Anruf bei der Spenderin des Kalenders brachte darüber keinen Aufschluss. Sie fand den Kalender bei einer Wohnungsübernahme im Keller eines Hauses in der Ansgarstraße. Die neue Hausbewohnerin war von dem alten Kalender begeistert und hing ihn geschützt in einem Bilderrahmen in ihrem Wohnzimmer auf.
Wandkalender verbreiteten sich seit der Erfindung des Buchdrucks. Einfache Jahresübersichten auf einem Blatt zählen mit zu den ersten Drucksachen in einer größeren Auflagenzahl. Kalender waren begehrt und wurden bald auch von Firmen als Werbeträger genutzt. Auch heute noch kommen Werbekalender bei den Kundinnen und Kunden an. Sie sind nützlich und praktisch und werden gerne mitgenommen. Auch unser Museums-Wandkalender ist so ein Werbeträger. Zahlreiche Werbeanzeigen von Geschäften aus Elmshorn und Umgebung sind wie auf einer Zeitungsseite angeordnet, hinzu kommt eine Übersicht zum „Posttarif Inland“ sowie zwei Rubriken für eigene Eintragungen und zwar wo sich der nächste Feuermelder befindet und „Wichtige Telephonnummern“.
Den gesamten Kopf des Bogens bilden Anzeigen der Arbeiterbewegung. In der Mitte das Zeichen der „Internationalen Arbeiter-Hilfe“ mit einer Anzeige rechts „Männer und Frauen, werdet Mitglieder der Internationalen Arbeiter-Hilfe“ und links einer Werbeanzeige für den „Mahnruf“, der Monatszeitschrift der „Internationalen Arbeiter-Hilfe“. Diese 1921 gegründete Organisation war das kommunistische Pendant zur Arbeiterwohlfahrt. 1925 existierten in Deutschland bereits 383 Ortsgruppen mit 33.600 Mitgliedern. Elmshorn mit seiner großen Anzahl an Fabriken und einem entsprechend hohen Arbeiteranteil bildete eine dieser Ortsgruppen mit 40 Mitgliedern. Ähnlich wie die AWO engagierte sich die IAH im Bereich der Sozialfürsorge und versuchte in Not geratene Arbeiterfamilien zu unterstützen. Darüber hinaus sollte aber auch der Kampf gegen die Wurzeln der Not, gegen den Kapitalismus, geführt werden. Ein wichtiges Ziel sah die IAH in der Bildung einer Einheitsfront aller Arbeiter, auch derjenigen, die die KPD selbst nicht hatte erreichen können. Die einzelnen Ortsgruppen wurden daher mit der Anwerbung von Mitgliedern beauftragt. Vermutlich entstand der Wandkalender mit dem Ziel der Anwerbung vor allem von auch nichtkommunistischen Mitgliedern.
Eine weitere Anzeige verrät uns das Herstellungsjahr des immerwährenden Kalenders: Aufschluss gibt die kleine Annonce in der linken Spalte vom „Radio-Spezialhaus“ in der Schulstraße 43. Der Firmengründer Hans Wichmann kam 1923 aus Hamburg nach Elmshorn und war als Privatfahrer und Auto-Rennfahrer bei der Firma C.H. Carstens beschäftigt. In seiner Freizeit betätigte sich Wichmann mit der neuartigen Detektor-Technik und gründete mit anderen Amateuren den Verein „Elmshorner Funkfreunde“. 1924 erhielt er als zweiter Elmshorner die „Audion-Versuchserlaubnis“ also eine Rundfunkgenehmigung. Am 15. November 1928 machte er sein Hobby zum Beruf und gründete gemeinsam mit seiner Ehefrau Berta das „Radio-Spezialhaus“. Da er bereits im folgenden Jahr das Geschäft in den Flamweg verlegte, muss der Kalender zur Jahreswende 1928/29 verteilt worden sein.
Die Anwerbung weiterer Mitglieder für die Elmshorner Ortsgruppe war übrigens trotz dieses Kalenders wenig erfolgreich: Obwohl die Zahl der Mitglieder reichsweit bis 1930 erheblich anstieg, sank die Zahl der Elmshorner Mitglieder auf 29 ab.
Weitere alte Kalender unterschiedlichster Art sind in unserer Sonderausstellung „Plastic World“ zu finden. Neben traditionellen Buchkalendern der Elmshorner Firma Steier sind auch Kalender mit raffinierten Systemen zu entdecken. Mein Favorit: der ewige Kalender zum mit roten, orangen und gelben Farbquadraten zum Stecken. Als Notiz für ihren Kalender: Die Ausstellung ist noch bis zum 15. April zu sehen.
Inventar-Nummer 2011-0635
Maße: Breite 34 cm, Höhe 48 cm
Material Karton