Puppe „Bärbel“
Viele Dinge begleiten uns viele Jahre lang und wir verknüpfen besondere Erinnerungen mit ihnen. Dies trifft besonders auf Objekte aus der eigenen Kindheit zu.
Die meisten Erwachsenen können sich noch heute gut an ihren Lieblingsteddy oder ihre Lieblingspuppe erinnern. So hatten nach einer Studie aus dem Jahr 2007 der Stiftung „Chancen für Kinder durch Spielen“ von den 85 % der 16- bis 69-Jährigen, die mit einem eigenen Stofftier oder einer eigenen Puppe aufgewachsen sind, über zwei Drittel einen „Hauptgefährten“. Während die jüngeren der Befragten dabei sicherlich die Wahl hatten – war für die Älteren der Lieblingsteddy häufig auch der einzige Teddy. Dies gilt besonders für die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen. Puppen und Kuscheltiere aus dem „Laden“ waren teuer und die Kinder hatten dementsprechend auch „nur“ einen Gefährten. Besonders mit den Puppen aus Porzellan oder Zelluloid mussten die Kinder zudem auch vorsichtig umgehen. Die Puppen verloren häufig die Gliedmaßen oder ihre Wimpern brachen ab. Dementsprechend gibt es viele Geschichten von erfolgreichen oder missglückten Reparaturversuchen an den geliebten Kindheitsgefährten.
Einer dieser kostbaren Gefährten ist jetzt neu in die Museumssammlung aufgenommen worden. Bevor die Puppe „Bärbel“ allerdings ins Industriemuseum Elmshorn kam, musste sie einen langen Weg zurück legen.
Die Reise der Puppe begann in den späten 1930er Jahren im Osten Deutschlands in der 1896 gegründete Puppen- und Spielwarenfabrik „Buschow & Beck“ die in Nossen in Sachsen und in Dzier?oniów/Reichenbach (Schlesien/Polen) ansässig war. Bekannt war die Firma eigentlich für ihre Puppen mit Köpfen aus Messingblech, die zum Schutz der Oberfläche mit Zelluloid überzogen wurden. Um 1900 ließ das Unternehmen dann den Markennamen „Minerva“ eintragen. Von nun an wurde allen Puppen ein kleines stilisiertes Bild einer Frau mit Helm, der römischen Göttin Minerva, auf Nacken oder Rücken eingeprägt. Ab 1907 stellte „Buschow & Beck“ neben den Metallkopfpuppen auch Puppen her, die wie „Bärbel“ gänzlich aus Zelluloid gefertigt waren. Die Puppenproduzenten aus dem Osten zählten übrigens zu den größten Konkurrenten des bekannten Puppenherstellers „Schildkröt“, der als Großkonzern Rohzelluloid an andere Firmen abgab. Als 1903 bekannt wurde, dass „Buschow & Beck“ selbst versuchte Zelluloid herzustellen, stellte „Schildkröt“ die Lieferung ein. Das kleinere Unternehmen überstand den Engpass bis ihre eigene Produktion des Kunststoffs gelang.
Das 1869 erfundene Zelluloid wird übrigens als der erste Kunststoff der Welt bezeichnet. Hergestellt wurde es aus dem hochentzündlichen und explosiven Cellulosenitrat („Schießbaumwolle“) und Kampfer. Im Spritzgußverfahren konnten aus Zelluloid Produkte hergestellt werden, die das Aussehen und die Haptik von natürlichen Werkstoffen wie Elfenbein, Bernstein, Horn oder Schildpatt imitierten. Revolutionär aber war vor allem der Einsatz von durchsichtigen Zelluloidfilmen für die Foto- und Filmindustrie. Ab ca. 1900 wurden auch vermehrt Puppen aus Zelluloid gefertigt. Die Hersteller warben mit dem geringen Gewicht, der verbesserten Hygiene und der „Unzerbrechlichkeit“ des neuen Materials. Allerdings war das Material trotz einiger Verbesserung nach wie vor leicht entzündlich und wurde mit der Zeit spröde und zerbrechlich. Ab den 1950er Jahren verdrängten neue, ungefährlichere Kunststoffe das Zelluloid, welches Anfang der 1960er Jahre in Deutschland für die Herstellung von Puppen verboten wurde.
Das blonde Puppenmädchen verließ aber schon weit vor dieser Zeit den Ort ihrer Herstellung und gelangte zur Spenderin. Sie bekam die Puppe Anfang der 1940er Jahre von ihren Großeltern zu ihrem sechsten oder siebten Geburtstag geschenkt und gab ihr den Namen „Bärbel“. Damals wohnte die heutige Elmshornerin noch mit ihren Eltern und ihren zwei jüngeren Schwestern in Stralsund. Und so blieb „Bärbel“ auch nicht lange allein. Die mittlere Schwester bekam später genau die gleiche Puppe, die jüngste Schwester ein etwas kleineres Modell geschenkt. Die Mädchen hingen sehr an ihren Puppen und nahmen sie immer mit wenn sie in den Sommerferien ihre Großeltern in Bad Oldesloe besuchten. Aufgrund des Verlaufes des Zweiten Weltkriegs und der vermehrten Luftangriffe verließ die Familie 1943 Stralsund und zog nach Bad Oldesloe. Für alle drei Schwestern war gleich klar, dass sie ihre Puppen nicht zurücklassen wollten und so kamen auch die drei Zelluloidpuppen mit nach Schleswig-Holstein.
Nach langer Sesshaftigkeit in Elmshorn ist „Bärbel“ nun erneut umgezogen – allerdings nur innerhalb des Ortes. Ende Oktober diesen Jahres spendete die Elmshorner Bürgerin ihre „Bärbel“ dem Industriemuseum Elmshorn. Hier sind die Puppe und ihre Geschichte auch in Zukunft gut aufgehoben. Sobald die Umbauarbeiten und Renovierungsarbeiten im Konrad-Struve-Haus der Ortsgeschichte abgeschlossen sind wird „Bärbel“ dann dort dauerhaft ausgestellt sein. Wer die weitgereiste Puppe allerdings schon früher kennenlernen möchte kann dies im November im Industriemuseum Elmshorn tun. „Bärbel“ wird einen Monat lang im Erdgeschoß des Industriemuseums zu sehen sein.
Inventar-Nummer: 2011-0538
Datierung: ca. 1930-1940
Höhe: 46,7 cm
Material: Zelluloid