Eine Kolibri für alle Fälle
Einmal kurz nicht aufgepasst – schon ist es passiert! Welche Frau kennt das nicht? Eine Laufmasche in der neuen Nylonhose. Die Beschädigung des Fadens an mindestens einer Masche löst schnell eine Kettenreaktion aus. Weitere Maschen lösen sich und die Feinstrumpfhose ist hinüber. Heutzutage landet die beschädigte Strumpfhose im Müll. Doch in den Nachkriegsjahren galten die Nylonstrümpfe als teures Luxusgut und waren bei den Frauen begehrt. Nylon und Perlon, – schon zu Beginn des Vertriebs der Fasern wurden die verschiedenen Kunstfaserstoffe aus den USA, bzw. Deutschland synonym mit „Nylons“ bezeichnet.
„Laufmaschendienst“ für Kult Zwirn
Mit dem Objekt des Monats, der Repassiermaschine Kolibri der ehemaligen Berliner Firma Arno Lohmüller, gelang es der erfahrenen Repassiererin in den Wirtschaftswunderjahren die Laufmasche schnell und kostengünstig wieder in Ordnung zu bringen. Bei einem, für damalige Verhältnisse, sehr hohen Ankaufspreis lohnte sich die Behebung des Schadens beim „Laufmaschendienst“ auf jeden Fall. Das Wort „Repassieren“ kommt aus dem Französischen und heißt „Laufmaschen aufnehmen“.
Mit 3000 Hüben
Beim Repassieren wird der Strumpf mit der Laufmasche über einen becherförmigen Metalltrichter gestülpt und die Repassiernadel an einer noch intakten Masche entlang der aufgetrennten Spur angesetzt. Bei einer Laufmasche bleiben die Querfäden bestehen, nur die Maschen lösen sich auf. Über das dazugehörige Fußpedal startet die Repassiererin den kleinen Elektromotor, der über den kleinen Schlauch Luft an das Endstück der Nadel presst. Ähnlich wie bei einer Nähmaschine bewegt sich die Nadel fortan in kurzen und schnellen Bewegungen – die Maschine schafft 3000 Hübe die Minute. Geregelt werden die Hübe über den Drehschalter an der Maschine. Die stufenlos verstellbare Skala von Null bis zehn macht es der Näherin leicht, die Geschwindigkeit der Nadel zu bestimmen. Mit der Reparatur begonnen, werden die fehlenden Maschen durch einen farblich passenden Zwirn wieder ersetzt. Anhand spezieller Farbenkarten mit den entsprechenden Farbencodes der Hersteller lässt sich der benötigte Nylon-Repassierfaden, bzw. das Stopfgarn ausfindig machen. Zuletzt muss noch das Ende der Laufmasche händisch vernäht werden. Sowohl Größe der Laufmasche als auch das Material des Nylonstrumpfes entscheiden darüber, ob in Zukunft noch etwas von der Reparatur zu sehen bleibt.
Die Reparatur einer langen Laufmasche benötigte circa 10 bis 15 Minuten. Die Besitzerin musste in den 1950er Jahren bis zu 40 Pfennig, je nach Umfang der Beschädigung auch weniger, bezahlen. Eine neue Feinstrumpfhose kostete das Vielfache. Der Repassiererin gelang es, rund 30-50 Nylonstrümpfe an einem Tag wieder in Ordnung zu bringen.
Nylon – die „Seide für alle“
Um 1930 entwickeln Chemiker in den USA und Deutschland fast zeitgleich eine vollsynthetische Faser, die wesentlich feiner als herkömmliche Textilfasern sein soll und dennoch mit einer deutlich höheren Reißfestigkeit aufwarten kann. 1935 wird in den USA die Faser Nylon, bestehend aus Kohlenstoff, Wasser und Luft, als das chemische Wunder vorgestellt – der Beginn der Damenstrumpfhose in einer zuvor nicht gekannten Qualität. Schon bald darauf präsentierte die deutsche Industrie ihr Konkurrenzprodukt: Perlon. Das neue „Wundergarn“ wurde von den Frauen rasch mit Idealen wie dem „American way of life“ sowie „Luxus, Schönheit und Erotik verbunden. Aufgrund der sehr hohen Anschaffungskosten, von zum Teil über 200 Reichsmark, bzw. kriegsbedingten Auswirkungen, trat die Kunstfaserstrumpfhose ihren Siegeszug erst in den späten Nachkriegsjahren an. Perlonstrümpfe wurden Anfang der 1950er Jahren im Vergleich zu denen aus Nylon für Viele erschwinglich. Die Nachfrage stieg entsprechend, was dazu führte, dass sich eine Vielzahl neuer Unternehmen zur Produktion der Kunstfaserhose gründete. 1952 produzieren in Westdeutschland bereits 92 Strumpfwirkereien Damenstrümpfe. Der westdeutschen Jahresproduktion von neun Millionen Paar im Jahr 1950 stehen drei Jahre später schon 58 Millionen Paar gegenüber. Die Hersteller der Strümpfe wussten, wie sie dem Kult um den neuen Zwirn zu weiterem Erfolg verhalfen. Mit Aktionen wie der Wahl zur „Beinkönigin“ dem „Blicktest“ und einer Vielzahl an Ratgeberliteratur führten die Produzenten nun verstärkt Marketingkampagnen. Hinzu kamen Petticoat und Stöckelschuh, die dem Nylonstrumpf zu weiterem Auftrieb verhalfen.
In Elmshorn konnten meist dort die Strümpfe zur Reparatur gebracht werden, wo es auch Nylonstrümpfe zu kaufen gab. Stoffgeschäfte wie das von Thormählen aber auch Warenhäuser wie das Modehaus Ramelow, das 1928 in Elmshorn eröffnete, boten Strümpfe und Reparaturen an. Die Strumpfstrickerei Scharff vertrieb ebenfalls Perlonstrümpfe. Zugleich war sie in Elmshorn die Alleinvertretung für Kunert-Strümpfe. Hatten die Verkaufsläden keine eigene Repassiererin, gaben Sie die Strümpfe als Reparaturauftrag an selbstständige Näherinnen vor Ort weiter. Die Kolibri verrichtete in Elmshorn in solch einer Repassierstube jahrelang ihren Dienst als „Maschenstopfer“.
Dass die Feinstrumpfhose einen sehr hohen Wert besaß, beweisen die unterschiedlichen Accessoires, die für die Aufbewahrung bereit gehalten wurde. So gilt es im Industriemuseum eine speziell für die Nylonhose aufwendig hergestellte Kunststofftasche zu bestaunen. In fächerförmigen Taschen werden dort die sensiblen Strümpfe aufbewahrt, um sie vor Beschädigungen zu schützen – sei es zu Hause oder auf Reisen.
Inventarnummer: 1999-0020
Datierung: um 1955
Material: Metall, Kunststoff, Gummi
Maße: 23 cm x 12 cm x 16 cm (lxbxh)
Hersteller: Arno Lohmüller KG, West-Berlin/Friedenau
Standort: Industriemuseum Elmshorn